Einführung

“Lützerath bleibt!” schallt es in diesen Tagen durch die Straßen. Der Kohlekonzern RWE, die Wirtschaftsministerin von NRW Mona Neubaur und der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatten da so eben verkündet einen Kohleausstieg bis 2030 durchzusetzen und das Dorf Lützerath abzureisen. Viele Studien belegen, dass die Kohle unter Lützerath nicht mehr gebraucht wird und auch nicht mehr gefördert werden darf, wenn Deutschland sein 1,5 Grad Ziel nach dem Pariser Klimaabkommen einhalten will. Lützerath ist nicht nur deshalb zu einem umkämpften Symbol der Klimagerechtigkeitsbewegung geworden. In unserem Blogpost wollen wir die Hintergründe zu Braunkohle und der damit verbundenen Vertreibung von Menschen, sowie dem Widerstand dagegen, eingehen. https://www.canva.com/de_de/lernen/schoene-farbpaletten-und-farbkombinationen/

Erderwärmung – das 1.5°C-Ziel

Seit der Industrialisierung (ab ca. 1870) hat sich der Globus 2017 im Durchschnitt bereits um ca. 1°C erwärmt [1], 2020 bereits um 1.1°C [2]. Dem aktuellen Konsens von Wissenschaftler*innen weltweit folgend, hätte eine Erwärmung der Welt um mehr als 1.5°C im Durchschnitt fatale Folgen. Durch die Erhöhung der Temperatur steigt zum einen der Meeresspiegel an, zum anderen ändert sich das Klima und extreme Wetterphänomene, wie Dürren, Überschwemmungen, Flutwellen oder Hungersnöte nehmen zu [1].

Betrachtet man die historischen Emissionen von CO2-Äquivalenten, so finden sich die USA auf Platz eins und die EU auf Platz zwei der größten Treibhausemittenten. Gemessen am heutigen Verbrauch liegt China ganz vorn [3]. Die Folgen der Erderwärmung tragen jedoch zu einem Großteil nicht diejenigen, die am meisten emittieren, sondern die Menschen des globalen Südens – besonders betroffen sind die Sahel Zone in Afrika, Bangladesch und viele südpazifische Inseln [4].

Um die Temperaturerhöhung abzumildern, ist es nötig weltweit die Emissionen zu senken. Im Jahr 2015 einigten sich 197 Nationen auf das Pariser Klimaabkommen, welches die zukünftige Erderwärmung auf maximal 1.5°C deckeln sollte [5; 6]. Dazu gehört auch die Drosselung der Energiegewinnung aus Kohlekraftwerken auf ein Nullniveau bis zum Jahre 2050 [7]. Die Maßnahmen, welche vereinbart wurden, reichen im besten Fall aus um einen Temperaturanstieg auf ca. 2.4-2.6°C zu deckeln. Da Vereinbarungen und tatsächliches Handeln jedoch oft nicht übereinstimmen, wird eine Erwärmung des Planeten von 2.9-3.9°C bis zum Jahr 2010 antizipiert [2]. Maßgeblich zur Erreichung der Klimaziele ist der Ausstieg aus fossiler Energiegewinnung, besonders der Braunkohle. Braunkohle ist weltweit die größte CO2-Quelle. Der Tagebau Garzweiler erzeugt nach Schätzungen etwa 35 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, das ist 22% der CO2-Last Nordrhein-Westfalens und 5 % von Deutschlands gesamter CO2-Last [8; 9; 10]. Hauptsächlich werden die nahegelegenen Kraftwerke Neurath und Niederaußem mit der Kohle gespeist, welche 2019 den zweiten und dritten Platz der größten Emittenten Europas belegten [11; 12].

Die neue Bundesregierung erwägt einen Kohleausstieg bis zum Jahr 2030, statt wie bisher zum Jahr 2038 [13]. Doch auch dieser käme für das Erreichen eines 1.5°C-Zieles zu spät. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bestätigt, dass ein vollständiger Ausstieg aus der Kohle bis zum Jahr 2028 notwendig wie auch machbar ist [14].Seitenumbruch

Die Landfresser

Für den Kohlehunger der Energiekonzerne müssen ganze Dörfer und Regionen weichen. Ganze Landstriche verschwinden und wo einst Menschen lebten bleibt nur ein Krater zurück. Bis Ende 2020 wurden im Rheinland 33.656 ha Land vom Braunkohlentagebau in Anspruch genommen [15].

Empfindliche Ökosysteme wie Wälder, Feuchtgebiete und sogar Schutzgebiete werden zerstört, die komplette Flora und Fauna vernichtet. Fruchtbare Böden weichen Kultursubstraten deren landwirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten begrenzt sind. Und auch der Grundwasserspiegel sinkt. Für den Kohleabbau wird das Wasser abgepumpt, wodurch auch grundwassergespeiste Feuchtgebiete im Umland stark beeinträchtigt werden [16].

Und was wird aus den gigantischen Kratern? Die größte Kohlegrube Europas, der Tagebau Hambach, erreicht Tiefen bis zu 450 Metern. Würde man den Kölner Dom 2,5-mal übereinanderstellen, würde seine Spitze geradeso die Tagebaukante erreichen. Sie mit Wasser zu befüllen, um sie zu einem See umzugestalten, würde Jahrzehnte dauern. Die oft mangelnde Rekultivierung der Tagebauflächen kann den Verlust der Vielfalt nicht ersetzen. Doch auch nach der Kohle, können natürliche Kreisläufe gefördert werden, indem man Sukzession zulässt und die Natur sich selbst überlässt [17].

Ist das gerecht?

Während die Industrieländer von der Kohleindustrie profitieren, werden die Folgen der Klimakrise vor allem auf den Schultern des globalen Südens ausgetragen. Immer mehr Menschen sind dort mit Extremwetterereignissen und Naturkatastrophen konfrontiert, der Meeresspiegel steigt drastisch und landwirtschaftlich nutzbare Böden gehen verloren. Schon lange werden die Rufe nach einer klimagerechten Gesellschaft laut: Die Länder des globalen Nordens, die als Hauptverursacher der Treibhausgase gelten, sollen auch die Verantwortung dafür tragen [18].

Kohle ist ein Auslaufmodell

Braunkohle ist unter Wärme, Druck und Luftabschluss umgewandeltes Pflanzenmaterial im Boden. Je älter die Kohle ist, desto höher ist auch ihr Energiegehalt und Kohlenstoffanteil. Die meisten Braunkohlevorkommen sind 40-50 Millionen Jahre alt. Steinkohle ist wesentlich älter – ca. 250-350 Millionen Jahre. Die Braunkohle ist wie Steinkohle, Erdöl und Erdgas ein fossiler Brennstoff und demnach ein Energieträger für Strom und Wärme. Im ersten Halbjahr 2021 wurden 29,7 % des eingespeisten Stromes durch Stein- und Braunkohleverbrennung erzeugt [19].

Doch woher kommt die Kohle? Deutschland hat eines der größten Vorkommen an Braunkohle der Welt: Die Reserven der drei größten Braunkohlereviere werden auf 40 Milliarden Tonnen geschätzt [20]. Diese sind das lausitzer Revier der LEAG, das rheinische Revier der RWE AG und das mitteldeutsche Revier. Im Jahr 2017 war Deutschland der größte Produzent von Kohle und auch heute gehört es, neben China, Russland, Indonesien und Polen zu den größten Förderländern [16].

Zündstoff für den Klimawandel

Kohle befeuert den Klimawandel. Mehr als 40 % der globalen CO2-Emissionen entstehen durch Kohleverbrennung. Dabei ist die Effizienz der Kohlekraftwerke gering – selbst mit modernster Technik erreichen sie nur einen Wirkungsgrad von ca. 45 %. Die Hälfte der Energie verraucht ungenutzt. Doch die Kohle ist nicht nur klimaschädlich – auch die Auswirkungen auf Menschen und Natur sind gewaltig. Von der Förderung bis zur Verbrennung in den Kraftwerken und Industrieanlagen hinterlässt die Kohle ihre Spur. Luftschadstoffe, Feinstaub und Schwermetalle gelangen in die Umwelt und hinterlassen Ewigkeitslasten. In den Abbauregionen bleiben Mondlandschaften zurück [21].

Alles für die Kohle opfern?

Die Klimakonferenz in Glasgow hat beschlossen: Bis 2030 sollen die Emissionen um 45% im Vergleich zu 2010 verringert werden, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Der Kohleausstieg wurde als Voraussetzung dafür erkannt [22].

Jeder einzelne Mensch steht vor Herausforderungen – denn Energiesparen, heißt auch weniger zu konsumieren. Auch die Wirtschaft will energieeffizienter werden. Erneuerbare Energieträger sollen an die Stelle fossiler treten. Dafür wird der Ausbau von Windkraft, Fotovoltaik, Wasser- und Wellenkraft, sowie Biogaserzeugung vorangebracht. Die Netze sollen ausgebaut, die Speichermöglichkeiten erforscht werden. Aus Kohleregionen werden Zukunftsregionen und auch die einstigen Kohlekonzerne profitieren von der grünen Energie. Doch ganz vorbei ist der Spuk noch nicht. Trotz Klimadebatte und Kohleausstieg laufen die Kohlekraftwerke auf Hochtouren.

Bis zum bitteren Ende – RWE und das Geschäft mit der Kohle

2021 ist der rheinländische Kohlekonzern RWE mit 89 Millionen Tonnen CO2 der größte Emittent Europas. Auch das Kraftwerk Neurath am Tagebau Garzweiler bleibt das klimaschädlichste Deutschlands. Lediglich 2,2 % des deutschen Ökostroms stammen von RWE [23].

Doch die Kohle ist ein Auslaufmodell. RWE wählt die Flucht nach vorn und strebt ein Rebranding an – der Umweltdinosaurier RWE will, laut eigenen Angaben, bis 2040 klimaneutral werden. Ein drastischer Imagewechsel muss her: Die neue RWE soll grüner, globaler, nachhaltiger werden. Die Klimaneutralität bleibt jedoch zweifelhaft – während andere internationale Konzerne längst viel mehr in Erneuerbare Energien investieren, setzt RWE vorrangig auf den Ausbau an Erdgaskraftwerken. Die Klimafolgen dessen werden nicht thematisiert. Wo andernorts Arbeitsplätze im Feld der Erneuerbaren geschaffen werden, droht nach Aufgabe der sterbenden Branchen Braunkohle und Atomenergie Arbeitslosigkeit. 2021 nimmt RWE, vor allem durch den Handel mit Strom und Gas, 350 Millionen Euro mehr im Jahr ein als zuvor angenommen [24]. Der Konzern ist vorbereitet.

Als finanzielles Puffer hat RWE sich mit CO2-Zertifikaten eingedeckt – sowohl um die steigenden Preise der noch laufenden Kraftwerke abzufedern als auch um mit ihnen gewinnbringend handeln zu können. Erst 2038 muss RWE die letzten Kohlekraftwerke abschalten – und bis dahin kann der Stromriese noch gut an der Kohle unter den Dörfern verdienen [20].Seitenumbruch

Stell dir vor dein Zuhause verschwindet

Seit 1945 haben Kohleunternehmen über 120.000 Menschen ihr Zuhause buchstäblich unter den Füßen weggegraben [25; 26]. Für den Tagebau Garzweiler I und II wurden bisher über 7530 Menschen aus ihren Häusern vertrieben [26] und in extra dafür angelegte neue Dörfer umgesiedelt. Diese sind vom Reißbrett gerissen, modern und haben außer ihrem Namen und einen Teil der alten Bewohner*innen nicht mehr viel mit den ehemaligen Dörfern gemein.

Für den Tagebau Garzweiler I wurden zwischen 1961 und 1997 im Zuge der Erschließung die Dörfer Gindorf St. Leonhard, Frimmersdorf am Heidebusch, Reisdorf St. Leonard, Elfgen, Belmen, Garzweiler und Priesterrath abgebaggert. Im Zuge dessen mussten 1.998 Menschen ihre Häuser, Dörfer und Nachbarschaften aufgeben und wegziehen. Der größte Ort darunter war das namensgebende Garzweiler mit 1259 Einwohner*innen.

Nachdem 1995 die Erweiterung des Tagebaus zu Garzweiler II genehmigt wurde, erfolgte 2006 der Abriss der Ortschaft Otzenrath mit 1780 Einwohner*innen. Darauffolgend im Jahr 2008 das Dorf Holz, 2009 Pesch, 2010 Spenrath und 2015 Borschemich [26]. Die Ortschaft Immerath mit ehemals 1153 Bewohner*innen wurde weitgehend geräumt, abgerissen und teilweise schon abgebaggert. Sogar der Immerather Friedhof wurde „umgelegt“.

Direkt neben dem was von Immerath noch übriggeblieben ist, liegt das Dorf Lützerath, auch dieses soll noch vor dem geplanten Kohleausstieg dem Erdboden gleichgemacht werden. Doch in Lützerath haben Menschen einen Widerstand formiert, welcher sich dem Abriss des Dorfes seit Sommer 2020 in den Weg stellt [27].

Kohleunternehmen greifen oft auf psychische Druckmittel zurück, um die Menschen dazu zu bewegen ihre Häuser zu verkaufen. Da die Grundstücke an einer Tagebaukante liegen, sind sie nicht viel wert und Anwohner*innen bekommen nur wenig Geld dafür.

„Entschädigung? Wer entschädigt mich denn, dass ich meine Eltern trösten muss? Dass wir uns um alten Menschen kümmern müssen, die völlig verzweifelt sind, die sich das Leben nehmen möchten, die nicht umziehen möchten? Wer entschädigt das denn? Wir wollen ja überhaupt kein Geld, wir wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden. Was nehmen sich die Menschen raus uns den Frieden zu nehmen? Es gibt Leute, die haben ihren Frieden gefunden in den Häusern, die wollen da alt werden, die möchten darin sterben. Die möchten da sterben, wo sie geboren sind. Und das wir denen nicht gestattet.“ – Tina D. aus Kuckum

Ein kleines Dorf leistet großen Widerstand

„Wir stellen uns der Ungerechtigkeit in den Weg. Als geeinte, vielfältige Bewegung sind wir stärker als die Konzernmächte und haben breiten Rückhalt in der Bevölkerung.“ – Alle Dörfer bleiben [28]

In Lützerath befindet sich eine dauerhafte Mahnwache des Bündnisses Alle Dörfer bleiben. Das Bündnis ruf auch zu regelmäßigen Demonstrationen, Kunstaktionen und Dorfspaziergängen auf. Auch ein breites Bündnis von zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie Greenpeace und BUND ruft neben Klimaaktivist*innen und Bürger*innen zu den Demonstrationen auf.

Besetzt!

In Lützerath wurden mit der Zustimmung des letzten Einwohners eine Wiese und angrenzende Waldflächen besetzt. Illegale Besetzungen finden in leerstehenden Gebäuden statt, die sich bereits im Besitz des Braunkohlekonzerns RWE befinden. Die Aktivist*innen wollen nicht nur Lützerath vor der Zerstörung bewahren, sie probieren vor Ort auch neue Arten des Zusammenlebens aus, um eine gelebte Alternative zum bestehenden Gesellschaftssystem aufzuzeigen [27].

Wir bleiben hier!

Die Strukturen in den Besetzungen sind darauf ausgerichtet eine mögliche Räumung zu erschweren und diese möglichst in die Länge zu ziehen. Deshalb sind die meisten Strukturen über einer Höhe von 2,5m gebaut. Je länger Bäume und Häuser besetzt sind, desto schwieriger eine Räumung ist, desto mehr öffentliche Aufmerksamkeit können die Aktivist*innen für das bestehende Problem gewinnen [27].

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, um mit legalen Mitteln auf ein bestehendes Problem hinzuweisen. Für genauere Informationen zu den einzelnen Widerstandformen kannst du den QR-Code auf den Fenstern „Ziviler Ungehorsam“ und „Bunter Widerstand“ einscannen [29].

Menschenrecht vor Bergrecht

Das Bergrecht in Deutschland macht das Enteignen von Grundstücken zur Erweiterung des Braunkohleabbaus grundsätzlich möglich, wenn dies für eine gesicherte Energieversorgung notwendig ist und damit dem Gemeinwohl dient [30]. Eckardt Heukamp, der letzte Einwohner von Lützerath schlug Entschädigungen und Angebote von Ausgleichsflächen der RWE AG lange aus. Daraufhin beantragte der Energiekonzern die Enteignung der Liegenschaften von Heukamp. Dieser klagte dagegen. Alle anderen im Dorf haben mit RWE verhandelt, sind schon weg oder werden noch gehen [31]. Anfang 2022 gab Heukamp schließlich auf und verkaufte sein Grundstück an den Braunkohlekonzern, nachdem das Oberlandesgericht Münster die Klage Heukamps abgewiesen hatte. Das Gericht entschied damit das RWE sein Grundstück abbaggern darf [13].

„Die Juristen haben mir gesagt, ich hätte keine Chance. Das Bergrecht habe eben einen hohen politischen Stellenwert. Es darf den Eigentümer enteignen, wenn das für die Allgemeinheit notwendig ist. Dabei sei genau das angesichts erneuerbarer Energien fragwürdig. Wir brauchen die Braunkohle eigentlich nicht mehr.“– Eckardt Heukamp [31]

Verwurzelt

Der Hof, auf dem Heukamp lebte, war seit Generationen in Familienbesitz. Er hat ihn von seinem Vater übernommen, der ebenfalls Landwirt war. Er hat jetzt Zeit bis zum 02.10.2022 auszuziehen und geht davon aus, dass das Dorf Lützerath dann ab Oktober komplett abgebaggert werde. Der Abriss macht Heukamp Angst [31].

„Das wird eine harte Maßnahme für mich sein, denn man hängt doch sehr an der Heimat.“ -Eckhardt Heukamp [13]

Du bist das fehlende Puzzleteil

Der Widerstand gegen Braunkohle ist vielfältig, bunt und kreativ. Trotz einiger Teilerfolge sind weiter Dörfer weltweit von der Zerstörung bedroht. Auch du kannst deinen Teil für eine klimagerechte Zukunft beitragen.

Alle Dörfer bleiben

Alle Dörfer bleiben ist ein deutschlandweites Bündnis zum Erhalt aller Dörfer die weltweit durch den Braunkohleabbau bedroht sind: „Wir fordern den sofortigen Stopp aller Zwangsumsiedlungen, aller Abrissarbeiten, aller Rodungen, Flächen- und Naturzerstörungen in den Braunkohlerevieren. Außerdem fordern wir den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Kohleförderung und die Einhaltung des Pariser Klimaziels von 1,5°C für Klimagerechtigkeit hier und überall auf der Welt“ [27].

Ende Gelände

Ende Gelände ist ein europaweites Aktionsbündnis von Menschen aus verschiedenen sozialen Bewegungen. Das Aktionsbündnis in Deutschland im Jahr 2014 gegründet und trat 2015 erstmalig mit der Blockade des Braunkohletagebaus Garzweiler in Erscheinung. Ende Gelände ruft zu Massenaktionen zivilen Ungehorsams gegen fossile Infrastruktur auf und fordert den sofortigen Kohleausstieg. Bei den Aktionen werden Schienen, Gaspipelines, Kraftwerke und Braunkohletagebauten besetzt und blockiert. Das Aktionsbündnis betont in seinem Aktionskonsens, dass nur friedliche Aktionen Teil von Ende Gelände sein können [29].

Fridays for Future

Fridays for Future ist eine internationale Schüler*innen- und Studierendenbewegung, die sich vorrangig für den Klimaschutz einsetzt. Initiatorin der Bewegung ist die schwedische Schülerin Greta Thunberg. Nach ihrem Vorbild gehen Schülerinnen und Schüler freitags während der Unterrichtszeit auf die Straßen und protestieren für eine nachhaltige Klimapolitik und Klimagerechtigkeit. Fridays for Future Deutschland hat Forderungen gemeinsam mit.

Wissenschaftler*innen von Scientists for Future entwickelt und fordert dabei einen Kohleausstieg im Jahr 2030. Neben den ortsgebundenen Schulstreiks mobilisiert die Bewegung auch europaweit zu Großdemonstrationen [32].

Lützerath lebt

Bei Lützerath lebt treffen Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen, Motivationen und Erwartungen aufeinander. Einige Menschen sind längerfristig vor Ort, andere kommen am Wochenende vorbei oder unterstützen aus der Ferne. Die Aktivist*innen bauen Baumhäuser, Hütten und besetzen leerstehende Häuser, um eine mögliche Räumung von Lützerath zu erschweren. In Lützerath wird zusammen gelebt und gelernt. Es geht um mehr als nur Widerstand: Vor Ort entsteht der Versuch in einer neuen Art von Gesellschaft zusammen zu leben. Es gibt dazu unter anderem ein vielfältiges Bildungsangebot vor Ort [27].

Von Wäldern, die wachsen und Dörfern, die bleiben

Die Bewegung hat einiges erreicht! Tausende Menschen aus der ganzen Welt engagieren sich in den vergangenen Jahren für den Erhalt von Dörfern, Ökosystemen und Gemeinschaften. Zwangsumsiedlungen, Abholzung und Kulturverlust wurden in das Licht der Öffentlichkeit gerückt – Klimafolgen und Biodiversitätsverlust angezeigt. Der lokale Widerstand in den drei Braunkohleregionen konnte, mit einem breiten Rückhalt der Bevölkerung, politische und gerichtliche Entscheidungen forcieren und so zahlreiche Dörfer vor der Zerstörung bewahren.

Pödelwitz bleibt!

Ein Beispiel dafür, das Widerstand in den Dorfgemeinschaften sich lohnt ist das Dorf Pödelwitz im Süden von Leipzig. Das 700 Jahre alte Bauerndorf liegt am Rand des Tagebaues der mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft (MIBRAG). Viele Dörfer drumherum mussten dem Tagebau weichen, doch Pödelwitz hielt stand. Schon ohne eine Genehmigung zur Abbaggerung zu haben, stellte die MIBRAG 2012 einen Umsiedelungsantrag für das Dorf – dieses sollte bald dem Tagebau weichen. Die Bürger*inneninitiative Pödelwitz bleibt und Pro Pödelwitz gründeten sich. In Verbindung mit Greenpeace und dem NABU wurden zahlreiche Aktionen des zivilen Ungehorsams durchgeführt und Klagen eingereicht. 2018 entwickelten die Bürger*innen dann das Maßnahmenpapier „Pödelwitz hat Zukunft“, ein visionäres Konzept für Pödelwitz als Mehrgenerationendorf, das durch erneuerbare Energien versorgt werden soll [33]. Nach zahlreichen Protesten entschied die neue sächsische Landesregierung 2019 dann: Pödelwitz soll erhalten bleiben und darf nicht bergbaulich genutzt werden [28].

Hambi bleibt!

Auch um den Hambacher Wald, kurz Hambi, fanden jahrelange Auseinandersetzungen zwischen Anwohner*innen, Besetzer*innen und dem Konzern RWE statt. Schon 1977 erwarb die Rheinbraun AG, das heutige RWE, die Fläche des Hambacher Waldes. Für die Erweiterung ihres Tagebaues Hambach musste ein Großteil des 12.000 Jahre alten Waldes schwinden.

Seit 2012 spitzte sich die Situation zu – Aktivist*innen besetzten den Wald und rufen zu seinem Erhalt auf. Jahrelange Proteste, Aktionen und Besetzungen mobilisierten eine unglaubliche Zahl an Menschen. Vorrangig über sozialen Medien organisiert, fanden sich 50.000 Menschen zu friedlichen Demonstrationen zusammen. Mehr als 800.000 Menschen unterzeichneten den Online-Apell “Retten statt Roden” [34].

Der damalige Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ließ 2018 den besetzten Wald aus Gründen des Brandschutzes räumen, rechtswidrig wie später die Gerichte beschließen. 2019 entschied dann die Kohlekommission: Hambi bleibt! Das Kohleausstiegsgesetz sieht den Erhalt des Restwaldes vor. RWE darf nicht weiter roden und auch die umliegenden Orte Morschenich und Manheim bleiben erhalten [35].

Die Koalitionsbeschlüsse – Fünf Dörfer werden gerettet

Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Berverath bleiben! So legt es der Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2021 fest. Die um den Tagebau Garzweiler II gelegenen Dörfer sollten bis 2028 umgesiedelt werden – so wollten es die Landesregierung und RWE. Durch den massiven Widerstand der Anwohner*innen zusammen mit Alle Dörfer bleiben wurde der Druck auf die Regierung erhöht. Das umkämpfte Dorf Lützerath wird durch die Koalition nicht geschützt: Das Oberverwaltungsgericht entschied im März 2022 den Abriss des Dorfes [13]. Dieser soll nun auch umgesetzt werden, nachdem sich Bundesregierung und RWE auf einen Kohleausstieg 2030 geeignet haben. Lützerath und das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens sind dazu das Bauernopfer für Profitinteressen.

Eine gemeinsame Vision

Die Klimabewegung ist international. Zum einen ist der Klimaschutz eine globale Aufgabe, zum anderen werden auch in anderen Ländern die Stimmen des Widerstands gegen die Braunkohle laut. In Australien blockieren Aktivist*innen den weltgrößten Kohleexport-Hafen, in Kolumbien setzt sich die indigene Wayúu Community gegen einen Tagebau zur Wehr und im größten Kohlabbaugebiet Chinas, in der Inneren Mongolei, blockieren mutige Bäuerinnen und Bauern Kohletransporte [16]. Auch in vielen afrikanischen Ländern setzen sich Bürger*innen gegen das klimaschädliche Wirtschaften zu Wehr. Vor allem in Südafrika und Kenia wurde mit zahlreichen Demonstrationen und Aktionen Aufsehen erregt.+´

1,5-Grad-Limit | Deutschland © Climate Action TrackerLiteraturverzeichnis

[1] IPCC, „Frequently asked Questions“.[2] Climate Action Tracker, „Briefing Global Update – Glasgow 2030 Credibility Gap“. November 2021.[3] C. Arens, „Ein Problem, viele Verursacher | bpb“, bpb.de, 2013. https://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/klimawandel/38474/industrie-und-entwicklungslaender (zugegriffen 21. November 2021).[4] Greenpeace, „200 Millionen Klimaflüchtlinge bis 2040“, 2014. https://www.greenpeace.de/presse/presseerklaerungen/200-millionen-klimafluchtlinge-bis-2040 (zugegriffen 21. November 2021).[5] B. für W. und K. BMWK, „Abkommen von Paris“. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Industrie/klimaschutz-abkommen-von-paris.html (zugegriffen 22. November 2021).[6] Europäische Kommission, „Paris Agreement“. https://ec.europa.eu/clima/eu-action/international-action-climate-change/climate-negotiations/paris-agreement_de (zugegriffen 21. November 2021).[7] P. Yanguas Parra, G. Ganti, R. Brecha, B. Hare, M. Schaeffer, und U. Fuentes, „Anforderungen an den globalen und regionalen Kohleausstieg unter dem Pariser Klimaabkommen: Erkenntnisse aus dem Sonderbericht über 1,5°C des Weltklimarats (IPCC)“.[8] BUND, „Klimaschutz heißt Braunkohlenausstieg“, BUND – BUND für Naturschutz und Umwelt in Deutschland. https://www.bund-nrw.de/themen/braunkohle/hintergruende-und-publikationen/braunkohle-und-umwelt/braunkohle-und-klima/ (zugegriffen 22. November 2021).[9] S. Wilke, „Struktur der Flächennutzung“, Umweltbundesamt, 1. Juli 2013. https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/flaeche/struktur-der-flaechennutzung (zugegriffen 22. November 2021).[10] S. Wilke, „Treibhausgas-Emissionen in Deutschland“, Umweltbundesamt, 29. August 2013. https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland (zugegriffen 22. November 2021).[11] RWE, „Tagebau-Standort Garzweiler“. https://www.rwe.com/unser-portfolio-leistungen/betriebsstandorte-finden/tagebau-garzweiler (zugegriffen 22. November 2021).[12] Transport and Environment, „European shipping’s climate record“, Campaigning for cleaner transport in Europe | Transport & Environment, 9. Dezember 2019. ttps://www.transportenvironment.org/discover/european-shippings-climate-record/ (zugegriffen 22. November 2021).[13] WDR, Letzter Bauer in Lützerath verkauft Hof und Flächen an RWE, 04.04.2022 Verfügbar unter: https://www1.wdr.de/nachrichten/letzter-bauer-in-luetzerath-verkauft-hof-und-flaechen-an-rwe-100.html[14] C. Rieve, P. Herpich, L. Brandes, P.-Y. Oei, C. Kemfert, und C. R. von Hirschhausen, Kein Grad weiter – Anpassung der Tagebauplanung im rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze im Auftrag von Alle D??rfer bleiben (Kib e.V.). 2021. Zugegriffen: 22. November 2021. [Online]. Verfügbar unter: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf[15] Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, „Jahresbericht 2020 der Bergbehörden des Landes Nordrhein-Westfahlen“. 2020.[16] BUND, Kohleatlas: Daten und Fakten über einen globalen Brennstoff. 2015. Zugegriffen: 29. Dezember 2021. [Online]. Verfügbar unter: https://www.boell.de/de/2015/06/02/kohleatlas[17] P.-Y. Oei, I. Braunger, C. Rieve, P. Walk, C. Kemfert, und C. von Hirschhausen, „Garzweiler II: Prüfung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des Tagebaus“, S. 50, 2020.[18] Bundjugend, „Kolonialismus und Klimakrise – Über 500 Jahre Widerstand“, BUNDjugend Blog, 2021. https://blog.bundjugend.de/produkt/kolonialismus-und-klimakrise-ueber-500-jahre-widerstand/ (zugegriffen 29. Dezember 2021).[19] Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, „Nettostromerzeugung in Deutschland 2021: Erneuerbare Energien witterungsbedingt schwächer – Fraunhofer ISE“, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, 2022. https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/news/2022/nettostromerzeugung-in-deutschland-2021-erneuerbare-energien-witterungsbedingt-schwaecher.html (zugegriffen 2. Februar 2022).[20] B. Neuwirth, „Wie RWE Dörfer zerstört und Menschen vertreibt“, S. 6, Sep. 2020.[21] Deutschlandfunk Kultur, „Klimabericht von Global Carbon Project – Schlechte Bilanz beim Treibhausgas“, 2021. Zugegriffen: 29. Dezember 2021. [Online]. Verfügbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/klimabericht-von-global-carbon-project-schlechte-bilanz-100.html[22] Bundeszentrale für politische Bildung, „COP 26: UN-Klimakonferenz in Glasgow | bpb“, bpb.de, 2021. https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/342741/cop-26-un-klimakonferenz-in-glasgow (zugegriffen 29. 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