Hier ist unser Exceltool, mit dem wir unsere Gehälter berechnen. Nutzt es gern selbst und schreibt uns bei Fragen oder Erfahrungsberichten!

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Schon bei der Gründung unseres Kollektivs entschieden wir uns für eine bedarfsgerechte Entlohnung unseres gemeinsam verdienten Geldes. Doch so einfach wie das klingt, ist es nicht. Auch bei uns Kollektivistis gibt es viele Fragen, Unsicherheiten, Gefühle und tief verwurzelte, oft unbewusste Glaubensätze in Bezug auf das, was diese Welt regiert. Dies ist ein Blogbeitrag über Bedürfnisse, kapitalistische Zwänge, Scham und die Suche nach einem solidarischen Umgang mit Geld.

Die Höhe von Gehältern ist heutzutage in der Regel durch deren finanziellen Mehrwert bestimmt. Dieser finanzielle Mehrwert spiegelt allerdings nicht immer auch den gesellschaftlichen Mehrwert wider. So verdient ein Kindergarten durch die Arbeitsleistung eine*s/r Erzieher*in nicht so viel wie ein Autohersteller durch die Arbeit eine*s/r Angestellte*n im Bereich Marketing. Letzter*r bekommt ein höheres Gehalt, obwohl viele deren*dessen Mehrwert für die Gesellschaft als eher gering einstufen würden.

 Diese Kopplung von Gehalt an einen Mehrwert lehnen wir im Kollektiv ab. Das hat zwei Gründe:

  1. Es ist unmöglich, den Mehrwert einer Tätigkeit zu ermitteln, wenn nicht nur finanzielle Aspekte hinzugezogen werden sollen. So lässt sich zum Beispiel der Mehrwert eine*r/s Kindergärtner*in/s im Vergleich, zu dem eine*r/s Ärzt*in nicht befriedigend ermitteln. Jede Hierarchisierung durch das Gehalt wäre mangelhaft.
  2. Wir gehen davon aus, dass der Mensch sozial ist, also davon, dass Menschen verstärkt Aufgaben übernehmen wollen, die dem Gemeinwohl dienen und die ihnen guttun, sobald das Gehalt nicht mehr von der Tätigkeit abhängt.

Die logische Konsequenz daraus wäre, dass alle Menschen das Gleiche verdienen sollten. Doch das ist für uns im Kollektiv auch nicht befriedigend, denn Menschen sind unterschiedlich, haben unterschiedliche Hintergründe und unterschiedliche Bedürfnisse. Dies sollte in unseren Augen auch das Gehalt widerspiegeln, weshalb wir versuchen eine gerechte, bedürfnisorientierte Entlohnung umzusetzen.

Wie wir die bedarfsgerechte Entlohnung im Kollektiv gestalten

Seit mittlerweile zwei Jahren erproben wir ein Verfahren zum Geldverteilen, bei dem wir uns eines Finanzierungsprinzips bedienen, das oft in solidarischen Landwirtschaften angewendet wird: Alle Kollektivistis schreiben in eine Tabelle (hier downloaden), wie viel Geld sie pro Monat 1) mindestens brauchen (Untersumme), 2) gerne haben würden (präferierte Summe) und 3) bei wirklich vollen Kassen nehmen würden (Luxussumme). Die Angaben in den drei Kategorien zählt das Excel Tool zusammen und schaut dann, wieviel Geld wir in den letzten Monaten verdient haben. Bei der monatlichen Gehaltszahlung zahlen wir immer mindestens die Untersumme aus. Wir zahlen die präferierte Summe aus, wenn genug Geld vorhanden ist und wenn sehr viel Geld da ist, die Luxussumme. In der Tabelle legt jede Person den persönlichen Bedarf fest. Die eingetragenen Beträge für den eigenen Bedarf können jeden Monat gleich sein oder aber sich je nach Lebenslage verändern. Niemand muss Gründe für die Höhe der Summen angeben; ganz nach dem Verständnis: Was Menschen brauchen, ist unterschiedlich und kann nur von ihnen selbst beantwortet werden.

Obwohl dieses Verfahren bisher gut funktioniert, wirft es auch immer wieder Fragen auf. Die wohl wichtigste Frage ist, was überhaupt ein Bedürfnis ist und in welche der oben benannten Kategorien es einsortiert werden kann. Ist das Bedürfnis nach Urlaub so elementar, dass dessen Kosten in der Untersumme einkalkuliert werden sollte? Ist Urlaub ein Luxus? Wie sieht es mit Altersvorsorge aus? Wie hoch muss das finanzielle Polster sein, damit sich Menschen sicher fühlen und keine Geldängste haben? Und wie stark ist dieses Sicherheitsbedürfnis im Vergleich zum vergleichsweise akuten Bedürfnis genug Geld für Miete und Essen zur Verfügung zu haben?

Der Bedarf ist die Summe aller Bedürfnisse in Geld ausgedrückt

Da Geld nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Kollektiv ein schambehaftetes Thema ist, wurde der Begriff „Bedürfnis“ bewusst nicht näher definiert. Jede Person muss das für sich selbst definieren. Durch eine Umfrage im letzten Winter kam jedoch heraus, dass es mehr Gesprächsbedarf gibt: Kollektivisti fühlten sich teilweise schlecht, wenn sie sich für Dinge Geld auszahlen ließen, die sie bei Mitkollektivisits vielleicht in anderen Kategorien vermuteten. Auch dass das Geld, das wir auszahlen, pro Person sehr unterschiedlich ist, führte bei einigen zu Unbehagen und der Angst, der Gemeinschaft vielleicht zu viel wegzunehmen. Außerdem gaben die meisten Kollektivisti zu, auch die empfundene oder gemessene Zeit, die sie in Kollektivarbeit gesteckt hatten, in ihr Bedürfnis nach Entlohnung einfließen zu lassen. Zu tief steckt der gesellschaftliche Zwang in uns, dass wir für unsere Arbeit entlohnt werden wollen. Dass im Kollektiv jedoch der Anspruch herrscht, gerade dies nicht zu tun, führte widerum bei manchen dazu, sich für das Bedürfnis nach Arbeitsentlohnung schlecht zu fühlen.    Eine bedürfnisorientierte Verteilung von Geld ist also komplizierter als gedacht.

Mit den Ergebnissen der Umfrage starten wir daher in die nächste Phase. Wir sprechen nun häufiger über Geld, unsere persönlichen Bedürfnisse, aber auch Bedürfnisse, die wir in Bezug auf die Gruppe haben. Beginnend sprachen wir darüber, welche Wahrheiten (Glaubensätze) wir in unserer Vergangenheit über Geld gelernt haben, denn auch die mit dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Geld verbundenen Gefühle haben etwas mit Sozialisierung zu tun. Wie in unseren Herkunftsfamilien mit Geld umgegangen wurde, welchen Stellenwert es hatte, usw., prägt, wie schambesetzt das Thema heute für einzelne Menschen ist oder nicht ist.

Mit dem Prozess die Verteilung von Geld solidarisch und gerechter zu gestalten, sind wir noch lange nicht am Ende. Doch als Zwischenfazit lässt sich sagen, dass das Experiment um die bedarfsgerechte Entlohnung bisher gut funktioniert und vor allem auch, dass das Sprechen über Geld uns näher zusammenbringt. Wir lernen uns, unsere Hintergründe, Ängste und potentiellen Sorgen besser kennen und haben so die Möglichkeit, uns als soziale, empathische Wesen aufeinander einzustellen, uns gegenseitig zu unterstützen und uns in einer Gemeinschaft gut aufgehoben zu fühlen.