…Und doch bleibt der Struggle gleich: Klimagerechtigkeit! Erst im August ist der sechste IPCC-Bericht erschienen – doch die Informationen sind alles andere als neu. Die Klimakrise und Erderhitzung haben überall auf der Welt fatale Auswirkungen – doch besonders im Globalen Süden, wo die CO2-Emissionen pro Kopf deutlich geringer sind als im Globalen Norden. Deutlich erkennbar wird das in der neuen interaktiven Atlaskarte des IPCC, wo ihr euch durch verschiedene Klima(gerechtigkeits)-Szenarien der einzelnen Regionen klicken könnt. Wir sind begeistert von dem neuen Tool, aber wer hat eigentlich das vorliegende Wissen erforscht? Wer schreibt im IPCC? Ist das wirklich globales Wissen?
Der IPCC-Bericht – globales Wissen?
Wir möchten uns aus einer klimagerechten Perspektive der Veröffentlichung des IPCC-Berichts beschäftigen. Dazu haben wir einen Text von William San Martín1 gelesen und für euch zusammengefasst. Er beschreibt, dass Wissenschaft und dessen Produktion von ganz alltäglichen Rahmenbedingungen abhängt wie beispielsweise dem Anstellungsverhältnis von Wissenschaftler*innen, den vorhandenen Forschungsgeldern, der Lehre und oder der eigenen Perspektive auf zu erforschende Problematiken. Gleichzeitig bewegt sich Wissenschaft laut San Martín auch in sozialen und institutionellen Strukturen. Diese können sich in der genutzten Sprache und im Schreibstil, der genutzten Methodik oder den Veröffentlichungen widerspiegeln. Sie beeinflussen die Interaktionen zwischen Wissenschaftler*innen: Also wer hat mit wem zu tun? Welche kollegiale Beratung gibt es? Und von wem? Wer forscht mit wem gemeinsam zu aktuellen Themen der Zeit? Daneben werden die einzelnen Wissensfelder beeinflusst, denn Perspektiven isolieren sich und sind homogen in sich geschlossen. Daraus folgt der Einfluss der institutionellen und sozialen Strukturen bei wissenschaftlich-fundierten Handlungsempfehlungen an die Politik.
Doch der San Martín stellt besonders heraus, dass institutionelle Arrangements die Reproduktion von Wissen beeinflussen: Welches Wissen wird eigentlich als wahr und relevant anerkannt? Welches Wissen ist valide und welches nicht? Oder nicht genügend validiert? Und von wem legitimiert? Wissenschaft gilt gemeinhin als legitimationsbedürftig, denn sonst breiten sich wage Wissenschaft in Kombination mit Fake News aus wie Querdenken oder Qanon während der Covid-19-Pandemie. Trotzdem ist zu kritisieren, dass die institutionellen Faktoren von sogenannten Peer-Reviews (unabhängige Kontrolle von wissenschaftlichen Ergebnissen durch Kolleg*innen), internationalen Zeitschriften und der Nutzung der englischen Sprache dazu führen, dass relevante Forschung teilweise nicht anerkannt wird von internationalen Organisationen wie beispielsweise dem IPCC oder UNEP. Dies geht darauf zurück, dass insbesondere Wissenschaftler*innen aus dem globalen Süden zumeist zu lokalen Problematiken forschen und die Ergebnisse in der Heimatsprache in nationalen oder regionalen Zeitschriften veröffentlichen. Dies wiederum hängt auch mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln ab. Zusammenfassend werden wissenschaftliche Ergebnisse auf der internationalen Bühne nur unter hohen institutionellen Anforderungen anerkannt und finden in der globalen Klima- und Umweltwissenschaft Beachtung.
Wissen, Ungerechtigkeit und Neokolonialismus
Die Schlussfolgerung ist, dass die krassen institutionellen Bedingungen ein Wissenschaftssystem aufbauen, welches sich abgrenzt von wissenschaftlicher Forschung aus dem globalen Süden und hier eine massive Machthierarchie in der Wissenschaft entsteht. Dies wird zusätzlich von San Martín durch die langjährigen Kultur des Westens beziehungsweise globalen Nordens, der sich als allwissender, zivilisierter und fortgeschrittene Gesellschaft darstellt. Dieses Argument findet seine Wurzeln im Kolonialismus wieder, denn schon damals wurde der Dualismus von wissenschaftlich-fundiertem Wissen versus indigenes Wissen auf der Welt geprägt.
Die Klimagerechtigkeitsperspektive hat den Anspruch diese Machthierarchien abzubauen und zu reformieren. So sagt auch San Martín, dass das sogenannte “globale Wissen” eigentlich Wissen des Globalen Norden ist und das ganze Wissenschaftssystem auf den Kopf gestellt und dekolonialisert werden muss. Wir stimmen ihm zu und möchten unsere Wissens(re)produktion deswegen an dieser Stelle hinterfragen. Der IPCC sagt uns, dass die Klimakrise und damit einhergehende soziale Ungerechtigkeit schon heute überall auf der Welt real sind, doch wiederholen sie die Fehler der Klimapolitik und schließen die Betroffenen weiterhin aus Lösungsansätzen aus.
Anmerkungen:
Den ganzen Artikel von San Martín findet ihr hier. Falls dieser nicht zugänglich für euch ist, schreibt uns gerne. An dieser Stelle möchten wir betonen, dass der Autor aus Lateinamerika stammt und seine Rolle reflektiert als immigrierter US-Wissenschaftler. Diese Zusammenfassung wurde von einem weißen Kollektivisti geschrieben, da wir uns als Kollektiv derzeit mit dem Thema Wissen auseinandersetzen.