Materialien für die Kleingruppen
Hier findet ihr die Materialien aller Kleingruppen. Der Link bleibt auch nach dem Workshop verfügbar.
Kurzzusammenfassung der Ergebnisse dreier Studien zur Gender-Stereotypisierung von Emotionen:
Die Teilnehmenden glaubten, dass Frauen die meisten der 19 untersuchten Emotionen (z. B. Traurigkeit, Angst, Mitgefühl) häufiger erleben und ausdrücken als Männer. Zu den Ausnahmen gehörten Wut und Stolz, von denen man annahm, dass sie häufiger von Männern erlebt und ausgedrückt werden.
In Studie 2 interpretierten die Teilnehmenden Fotos von Erwachsenen mit mehrdeutigen Gesichtsausdrücken von Wut und Traurigkeit in einer stereotypischen Weise, so dass Frauen als trauriger und weniger wütend eingestuft wurden als Männer. Selbst eindeutige Wutposen von Frauen wurden als eine Mischung aus Wut und Traurigkeit bewertet.
Studie 3 ergab, dass, wenn werdende Eltern den mehrdeutigen Ausdruck von gleichzeitiger Wut und Trauer eines Säuglings auf einem Videoband interpretierten, nur hochstereotypisierte Männer [Männer, die Genderstereotype in Bezug auf Emotionen befürworten] den Ausdruck in einer stereotyp-konsistenten Weise interpretierten.
In Studie 3 sollten werdende Eltern Videos von Säuglingen interpretieren. In den Videos drückten die Säuglinge Wut und/oder Trauer aus. Nur Männer, die Genderstereotype in Bezug auf Emotionen befürworten, haben den Ausdruck in einer stereotyp-konsistenten Weise interpretiert.
Quelle: Plant, E. A., Hyde, J. S., Keltner, D., & Devine, P. G. (2000). The gender stereotyping of emotions. Psychology of women quarterly, 24(1), 81-92.
Unsere Kultur neigt dazu, Wut als angemessene Reaktion von Männern zu akzeptieren, nicht aber von Frauen. In einer von Forscher*innen der Harvard Kennedy School durchgeführten Studie zur Gleichstellung der Geschlechter wurde festgestellt, dass Frauen negative Konsequenzen erleiden, wenn sie am Arbeitsplatz Wut zeigen, während Männer für dieselben emotionalen Äußerungen mit Vorteilen wie höherem Status oder höherem Gehalt belohnt werden. In dieser Studie wurde außerdem erklärt, dass die Wut einer Frau auf ihre Persönlichkeit zurückgeführt wird, was zu negativen Reaktionen am Arbeitsplatz führt. Wenn ein Mann jedoch wütend wurde, wurde dies auf äußere Faktoren zurückgeführt, wodurch die negativen Auswirkungen des Wutausbruchs abgeschwächt wurden.
Das Bild zeigt, wie Ärger am Arbeitsplatz bei einer Frau auf persönliche Eigenschaften und bei einem Mann auf äußere Faktoren zurückgeführt wird. Illustration von Roshni Ranganathan.
Zusammenfassung einer Veröffentlichung zum ‘Angry Woman Syndrome‘ in einer psychiatrischen Fachzeitschrift in 1971
Das Syndrom der wütenden Frau: Das Syndrom der wütenden Frau unterscheidet sich durch bestimmte gemeinsame Nenner von jeder gängigen Klassifizierung. Diese Symptome sind periodische Ausbrüche unprovozierten Zorns, Eheprobleme, ernsthafte Selbstmordversuche, Neigung zu Alkohol- und Drogenmissbrauch, eine krankhaft kritische Haltung gegenüber anderen Menschen und ein gegenteiliges zwanghaftes Bedürfnis, sich in allen Unternehmungen mit einem intensiven Bedürfnis nach Sauberkeit und Pünktlichkeit in den Vordergrund zu schieben. Dieses ständige Streben nach Perfektion wird ihnen zum Verhängnis. Drei Fälle werden zusammen mit dem entsprechenden Syndrom ihrer leidenden männlichen Gegenparts vorgestellt, die auf die Wut mit einer Intensivierung ihrer schwachen männlichen Triebe reagieren. Die Behandlung ist bestenfalls palliativ und wird in der Regel abgelehnt.
Quelle: Rickles, N. K. (1971). The angry woman syndrome. Archives of general psychiatry, 24(1), 91-94.
Ausschnitt aus dem Buch “The Emotions of Protest“ von James M. Jasper
Eine Protestbewegung, die die Empörung unter ihren Mitgliedern nähren musste, war die Frauenbewegung des späten zwanzigsten Jahrhunderts. Feministinnen wiesen darauf hin, dass Frauen lange Zeit unterdrückt worden waren, weil sie mit Emotionen in Verbindung gebracht wurden. (Frühe Theoretiker der Massenbewegung hatten den Mob in seiner emotionalen Unbeständigkeit als weiblich beschrieben). Doch ironischerweise wurde ihnen eine der nützlichsten politischen Emotionen, die Wut, verwehrt. Von Frauen wurde erwartet, dass sie sowohl emotional als auch passiv waren: eine Bemerkung, die häufig über Menschenmengen gemacht wurde, die zwar zu Aktionen fähig waren, aber nur, wenn sie von einem Demagogen bewegt wurden (wiederum eine Passivität, die als weiblich galt). Wahres Handeln, das des autonomen Individuums, sollte eher durch Gedanken als durch Gefühle motiviert sein. Doch wie konnten Frauen die tiefe Ungerechtigkeit, die sie empfanden, formulieren, ohne ihre Wut auszudrücken?
Verta Taylor hat diese feministische Analyse der Wutunterdrückung auf die Untersuchung sozialer Bewegungen angewandt. In ihrem Buch über „postpartale Depression“ dokumentiert sie die Bemühungen von Frauenselbsthilfegruppen, lähmende Gefühle wie Scham, Depression und Angst in mobilisierende Wut umzuwandeln. Die Bewegung ermutigte Mütter, ihre Schuld nach außen auf ungerechte und unrealistische kulturelle Normen in Bezug auf die Mutterschaft zu richten, anstatt sie nach innen auf ihre eigenen Unzulänglichkeiten als Mutter zu richten, die versucht, diese Erwartungen zu erfüllen. Die Wut erlaubte es ihnen, kulturelle Normen, medizinische Autoritäten und sogar ihre eigenen ehelichen Gewohnheiten in Frage zu stellen. Die Bemühungen des Feminismus, negative Emotionen, insbesondere Wut, für Frauen akzeptabel zu machen, sind nur das am besten dokumentierte Beispiel für die Bemühungen vieler Bewegungen, die Regeln für Gefühle zu verändern.
Frauen neigen eher dazu, Wut zu unterdrücken, während Männer eher dazu neigen, Angst zu verbergen. Strukturelle Modelle von Emotionen bestehen darauf, dass alle Untergebenen ihre Wut unterdrücken, aber in diesem (amerikanischen) Fall sind es möglicherweise vor allem weiße Frauen aus der Mittelschicht, die unter Druck gesetzt werden, passiv und ruhig zu sein. Frauen aus der Arbeiterklasse und nicht-weiße Frauen finden es vielleicht einfacher, Wut als strategisches Mittel einzusetzen. Es ist möglich, dass bestimmte Kategorien von Untergebenen einem größeren Druck zur Unterdrückung von Wut ausgesetzt sind als andere, auch wenn alle einem gewissen Druck ausgesetzt sind.
Wenn Wut in sozialen Hierarchien in der Regel nach unten gerichtet ist, wie Aristoteles betonte, liegt der Grund dafür auf der Hand: Wut ist ein nützliches Mittel zur Durchsetzung der eigenen Rechte und des eigenen Status. Taylor bezeichnet die Selbsthilfe als „die Wurzel des Feminismus“ und argumentiert: „Die Selbsthilfe von Frauen spielt eine wichtige Rolle bei der Infragestellung der Gefühlsnormen, die Liebe und Wut umgeben, und trägt zu einem historischen Wandel in der amerikanischen Gesellschaft hin zu freier Meinungsäußerung, Individualismus und Selbstentfaltung bei.“ Die Fähigkeit, die mit politischer Handlungsfähigkeit verbundenen Emotionen – Wut, Empörung, Stolz usw. – zu fühlen und zu zeigen, stellt eine Art emotionale Befreiung dar, die ebenso notwendig ist wie die kognitive Befreiung. Wie Peter Lyman sagt: „Die Wut der Machtlosen ist eine wesentliche Stimme in der Politik, nicht zuletzt, weil die wütende Rede die Behauptung enthält, dass eine Ungerechtigkeit begangen wurde“.
Wut, Empörung und andere aggressive Emotionen sind nicht immer ein erfolgreicher Ansatz. Sie verwickeln die Demonstranten in das Dilemma, ob sie böse oder nett sind. Cheryl Hercus dokumentiert eine Reihe von Gefühlsäußerungen, mit denen australische Frauen ihre Wut und ihre Identität als Feministinnen zum Ausdruck brachten, sich aber auch um ihrer familiären und beruflichen Beziehungen willen zurückhielten. Wutausbrüche erzeugten emotionale Energie, während Selbstbeherrschung diese verbrauchte. Protestgruppen mit Verbindungen zu etablierten Politikern und Parteien haben möglicherweise weniger Bedarf an Wut und anderen aggressiven Taktiken. Freche und nette Strategien haben beide Vorteile, aber Protestierende sind sicherlich besser dran, wenn sie sich diesem Dilemma stellen, als wenn ihre Wahlmöglichkeiten eingeschränkt werden, weil „freche“ emotionale Äußerungen von vornherein ausgeschlossen sind, was sie für die Gegner berechenbarer macht.
Quelle: Jasper, J. M. (2018). The Emotions of Protest. University of Chicago Press.
Ausschnitte aus dem Artikel über Wut Empowerment und die Wichtigkeit vom wütend Sein vom don’t fear the anger Kollektiv
Wut kann was
„Nicht wütend zu sein ist ein Privileg. Denn Wut ist eine angemessene Reaktion auf eine existierende Ungerechtigkeit.“ schreibt die Journalistin Teresa Bücker in ihrer Kolumne „Ist es radikal, wütend zu sein?“. Wut zu unterdrücken ist nicht nur schlecht für unsere Psyche und unseren Körper. Wut nicht rauszulassen, unterdrückt wahrscheinlich auch kreatives und aktivistisches Potenzial. Viele feministische Kämpfe wurden und werden immer noch aus Wut geführt (Ja, das kann auch wieder wütend machen). Wut kann Energie und Kraft zum Handeln schaffen; helfen eigene Grenzen zu ziehen, um die eigenen Bedürfnisse zu schützen und die eigene Selbstbehauptung zu üben. Teresa Bücker schreibt: „Es ist eine Frage des Respekts gegenüber sich selbst, die eigenen Gefühle ernst zu nehmen und sie für etwas zu nutzen. Wut kann das. […] Wir können Wut als Teil von uns akzeptieren, denn sie ist nicht das Böse, sondern erzählt uns davon, was wir brauchen und was uns ganz macht.“
Was uns wütend macht
Teresa Bücker schreibt also, dass Wut Bedürfnisse transparent und sichtbar machen kann. Vielleicht fallen euch auch schon viele Situationen ein, wo Wut bereits sichtbar ist? Vielleicht auf Demonstrationen, in geteilten Instagram-Slides, bei deiner besten Freundin, wenn sie sich über ihre Eltern ärgert, im Gespräch mit deinen Mitbewohner*innen über die ungerecht verteilte Care Arbeit?
Nicht nur Frauen sind von der gesellschaftlich sexistischen Verhandlung von Wut betroffen. Der Umgang mit Wut ist für alle Geschlechtsidentitäten wichtig, deswegen muss die Wut von FLINTA* Personen stärker in den Vordergrund rücken. Die wissenschaftliche und auch die popkulturelle Auseinandersetzung mit dem Thema reproduziert leider dauerhaft das binäre Geschlechtersystem. Es gibt bisher nur sehr wenige wissenschaftlich gestützte Erkenntnisse zu nicht cis-geschlechtlichen Personen und deren Emotions- bzw. Wutempfinden.
Kurzzusammenfassung der Ergebnisse einer Studie zur Rolle verschiedener Emotionen im Umweltkontext auf Verhalten und Wohlbefinden
Öko-Wut beschreibt das Ausmaß, in dem die Klimakrise bei Personen Gefühle von Wut oder Frustration auslöst.
Aus der Befragung in Australien ging hervor, dass Öko-Wut mit geringerer wahrgenommener Angst, Depression und Stress verbunden ist und somit eine adaptive Reaktion auf die Klimakrise sein kann.
Öko-Wut konnte zudem als einzige Variable persönliche Verhaltensweisen im Umweltkontext (z.B. Recycling im eigenen Haushalt) hervorsagen. Das bedeutet, dass Öko-Wut zu dazu führen könnte, dass vermehrt persönliche Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen werden.
Öko-Wut steht außerdem im Zusammenhang mit einer größeren Beteiligung beim kollektiven Handeln im Klimaschutz (z.B. Protestverhalten).
Insgesamt deuten die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Öko-Wut eine gesunde und anpassungsfähige Form der expressiven Bewältigung sein kann, während Öko-Depression und Öko-Angst stattdessen schwächend wirken können.
Quelle: Stanley, S. K., Hogg, T. L., Leviston, Z., & Walker, I. (2021). From anger to action: Differential impacts of eco-anxiety, eco-depression, and eco-anger on climate action and wellbeing. The Journal of Climate Change and Health, 1, 100003. https://doi.org/10.1016/j.joclim.2021.100003
Schau dir das dieses Video an: https://www.youtube.com/watch?v=TMrtLsQbaok
Reaktion von Donald J Trump auf die Rede von Greta Thunberg beim UN Climate Action Summit 2019 auf Twitter
Deutsche Übersetzung:
„So lächerlich. Greta muss an ihrem Wutmanagement-Problem arbeiten und sich dann einen guten alten Film mit Freunden ansehen. Chill Greta, chill!“
Quellen: Rede von Greta Thunberg und Herkunft des Tweets
Auszüge aus dem Artikel aus der Irish Times von John Sharry – „Climate crisis: Channelling anger into constructive action“ vom 3. November, 2019
Wenn wir angegriffen werden oder eine Bedrohung erfahren, ist es eine normale emotionale Reaktion, wütend zu werden. Wut ist eine uralte und primitive Reaktion, die uns motivieren soll, uns zu verteidigen und Maßnahmen zu ergreifen, um eine Bedrohung zu bekämpfen. Wut ist ein positives, starkes Gefühl, und wir könnten nicht überleben, wenn wir nicht in der Lage wären, sie bis zu einem gewissen Grad zu empfinden. Das Problem mit der Wut ist jedoch, dass sie eine irrationale, undifferenzierte Emotion ist.
Wut muss auf jemanden oder etwas gerichtet sein, und trifft oftmals das falsche Ziel. Ein wütender Mensch kann schnell seinen Verstand ausschalten und eine allzu einfache Ursache und einen Sündenbock als Schuldigen ausmachen. Wenn wir wütend sind, können wir unsere Fähigkeit verlieren, empathisch zu sein oder komplexe Situationen zu verstehen, in denen Verantwortlichkeiten geteilt oder nicht leicht zu erkennen sind.
Wut hat das Potenzial, zu spalten und zu polarisieren wie kein anderes Gefühl. Wenn wir wütend sind wollen wir „Gute“ und „Böse“ identifizieren und eine Gesellschaft, die bedroht ist, kann in zerstrittene Fraktionen gespalten werden. Jede Fraktion wird wütend auf die andere und das gegenseitige Verständnis geht verloren.
Jetzt, wo wir in das Zeitalter der Klima- und Umweltkrise eintreten, auf wen sind wir da wütend? Wem geben wir die Schuld an den zunehmenden Überschwemmungen, Hitzewellen, Klimageflüchteten und der wirtschaftlichen Rezession? Klimaleugner:innen richten ihre Wut auf Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen, weil sie das Thema überhaupt erst aufgeworfen haben. Großunternehmen und Politiker:innen versuchen, die Wut der Öffentlichkeit von sich weg auf die Verbraucher:innen zu lenken, die den Wandel anführen müssen.
Die positive Energie der Wut nutzen
Während Angst dazu führen kann zu erstarren oder nicht zu handeln, kann Wut motivieren und zum Handeln antreiben. Während Depression lähmen und entmutigen kann, kann Wut Energie geben und aus der Trägheit herausführen. Gut fokussiert und mit gutem Urteilsvermögen versehen kann Wut den Mut geben, um für eine bessere Welt zu kämpfen.
Die Spaltung in „sie“ und „wir“ vermeiden
In der Debatte über die Klimakrise werden die Rechten angegriffen, weil sie den Planeten zerstören, und die Linken werden als naive Ökos angegriffen, die die Wirtschaft zerstören wollen. Diese Spaltung in „sie und wir“ ist sehr schädlich für den sozialen Zusammenhalt und die Zusammenarbeit, die notwendig ist, um das kollektive Problem anzugehen, dem wir alle gegenüberstehen. Selbst innerhalb der Umweltbewegung gibt es Spaltungen zwischen denjenigen, die die „richtigen“ Lösungen vorschlagen, und Auseinandersetzungen darüber, wer in seinem eigenen Lebensstil ethisch am konsequentesten ist. Diese Spaltungen beeinträchtigen die Wirksamkeit aller Gruppen. Auch wenn wir wütend sind, müssen wir unsere Fähigkeit zur Empathie und zur Zusammenarbeit als Gesellschaft bewahren.
Das Problem externalisieren
Anstatt einzelne Personen persönlich für die Klimakrise verantwortlich zu machen, können wir das Problem als ein Problem erkennen, das uns alle betrifft, und eine Zusammenarbeit aufbauen, um es gemeinsam zu bekämpfen. Anstatt einzelne Personen zu bekämpfen, sollten wir das System bekämpfen, das die Probleme verursacht.
Die Externalisierung eines Problems bedeutet nicht die Machthabenden vom Haken zu lassen, denn sie tragen eindeutig die größte Verantwortung für Veränderungen. Aber es bedeutet zu vermeiden die Person an der Macht zu dämonisieren und stattdessen daran zu arbeiten, sie zu Veränderungen zu bewegen. Nutzen wir das demokratische System und wählen Parteien, die für Gerechtigkeit und einen Systemwechsel eintreten, um das Machtproblem anzugehen.
Wut in wirksames Handeln destillieren
Sich wütend zu fühlen, ohne etwas zu unternehmen, kann für den Einzelnen schädlich sein und schlecht gelaunt und verbittert machen. Der Schlüssel zu einer guten psychischen Gesundheit liegt darin, zu lernen die eigene Wut durch überlegtes und konstruktives Handeln angemessen auszudrücken.
Zwei der inspirierendsten Bewegungen des letzten Jahres waren die Schulstreiks, für die sich Greta Thunberg eingesetzt hat, und Extinction Rebellion, getragen von normalen, besorgten Menschen. Beide bieten ein positives Ventil für die berechtigte Wut über die Zerstörung unseres Planeten, und beide sind durchdacht und zielgerichtet. Der Einsatz der dramatischen Mittel von „Streiks“ und einer „friedliche Rebellion“ lenkt die Aufmerksamkeit auf die sich entfaltende Krise. Die gezielten Botschaften der Kampagnen für einen Systemwechsel sind direkt und klar (z. B. die Festlegung klarer Ziele für Null-Emissionen).
Sich selbst und die Gesellschaft ändern
Nutzen wir unsere Wut, um uns selbst zu verändern und uns für eine Veränderung der Gesellschaft einzusetzen. Wenn wir etwas gegen den Klimakollaps unternehmen wollen, müssen wir auf allen Ebenen aktiv werden. Wir müssen uns persönlich dafür entscheiden, weniger zu konsumieren (z. B. weniger zu fliegen, unsere eigenen Lebensmittel anzubauen oder uns für Veränderungen einzusetzen).
Wir müssen auch gemeinschaftliche Entscheidungen treffen, z. B. Ressourcen gemeinsam nutzen, lokale Lebensmittel- und Energiegenossenschaften gründen. Wir müssen auch auf nationaler Ebene Entscheidungen treffen, wie z. B. die Dekarbonisierung unserer Stromerzeugung, die Reform unserer Landwirtschafts- und Verkehrssysteme sowie auf internationaler Ebene die Zusammenarbeit mit anderen Nationen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen: die Rettung unseres Planeten.
Während die Folgen der Klimakrise zunehmen und die Gesellschaft immer wütender wird, müssen wir hart daran arbeiten, den einfachen Weg des Sündenbocks, des heftigen Konflikts und der Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden. Der Schlüssel liegt darin, unsere Wut in positive, kooperative Maßnahmen zu lenken, die uns zusammenbringen, statt uns auseinanderzutreiben.
Seien wir wütend, aber handeln wir überlegt und mit Augenmaß.
Was ist die „Racial Anger Gap“ und wie wirkt sie sich auf das politische Handeln aus?
Als „Racial Anger Gap“ bezeichne ich ein rassisches Muster, das ich bei den emotionalen Reaktionen der Amerikaner*innen auf die Politik festgestellt habe. Afroamerikaner*innen – und auch Latin*a und asiatischen Amerikaner*innen – äußern durchweg weniger Wut über politische Persönlichkeiten, Regime und Umfelder als ihre weißen Mitmenschen. […] Bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Wut und politischem Verhalten stelle ich bei weißen Menschen eine starke und positive Beziehung zwischen dem Ausdruck von Wut über die Politik und der Teilnahme an einer Vielzahl von Aktionen fest, die von der freiwilligen Mitarbeit bei Kampagnen und Spenden über die Kontaktaufnahme mit gewählten Vertretern bis hin zu Protesten reichen. Im Gegensatz dazu ist der Zusammenhang zwischen Wut und politischer Beteiligung bei BIPOC (Black, Indigenous, and People of Color) viel schwächer und in den meisten Fällen statistisch null.
Zahlreiche Forschungsergebnisse aus der Sozial- und Politikpsychologie zeigen, dass Wut eine Emotion ist, die politisches Verhalten effektiv motiviert, da sie die Impulsivität und das Selbstvertrauen unmittelbar steigert und die Risikoaversion verringert, die durch diesen Gefühlszustand hervorgerufen wird. Die Tatsache, dass BIPOC durchweg weniger Wut über die Politik zeigen und durch diese Emotion weniger motiviert sind, politische Maßnahmen zu ergreifen, stellt also die konventionelle Weisheit über den Nutzen, Menschen dazu zu bringen, rot zu sehen, um sie zu mehr Aktivität in der politischen Arena zu bewegen, in Frage. Ich behaupte, dass Wut eine schwächere Rolle für das politische Engagement von People of Color spielt, und zwar aus zwei Hauptgründen. Erstens hemmt ein allgegenwärtiges Gefühl der, wie ich es nenne, rassistischen Resignation – die Wahrnehmung, dass die Politik im Allgemeinen nicht auf die Forderungen rassifizierter Minderheiten eingeht oder ihnen sogar feindlich gegenübersteht – die Aktivierung einer handlungsauslösenden Wut bei ihnen. Zweitens können Äußerungen der Wut von People of Color – insbesondere von Afroamerikanern – mit hohen Kosten verbunden sein. Das Etikett „wütend, weil schwarz“ zu sein, kann beispielsweise das Risiko einer sozialen Stigmatisierung oder einer verstärkten Überwachung mit sich bringen. Dies sind die Hauptursachen für die Kluft zwischen BIPOC und weißen Menschen in der amerikanischen Politik.
War Wut jemals ein politischer Motivator für People of Color?
Es gibt einen Bereich des politischen Handelns, in dem die Wut BIPOCs am deutlichsten und stärksten mobilisiert. Und es ist nicht überraschend, dass dies der Bereich der Systemanfechtung und der Protestpolitik ist. Wenn wir an die Tradition des von Minderheiten geführten Aktivismus zurückdenken, der ein zentrales Merkmal der amerikanischen Politik ist – insbesondere der von Schwarzen geführten Bewegungen von der Abschaffung der Sklaverei über Bürgerrechtskampagnen und Black Power bis hin zu Black Lives Matter -, erkennen wir eine ausgeprägte emotionale Disposition der Empörung. Wichtig ist, dass sich diese Empörung oft nicht gegen einen bestimmten politischen Akteur, ein Regime oder eine politische Plattform richtet. Vielmehr richtet sich diese Wut im weiteren Sinne gegen das politische System selbst. Dementsprechend treibt diese gegen das System gerichtete Wut Aktionen an, die darauf abzielen, dieses System in Frage zu stellen, zu stören und zu verändern.
Dies ist eine wichtige Unterscheidung, die hervorgehoben werden muss. Es reicht nicht aus, sich zu fragen, warum BIPOC ihre Wut häufiger oder intensiver in ihrem politischen Handeln zum Ausdruck bringen oder nutzen. Wir müssen auch verstehen, wie politische Wut, die in rassifizierten Minderheitengruppen entsteht, sie zu aktivistischen Aktionen [wie Protesten und Demonstrationen] führt als zu Aktionen, die das Wahlergebnis beeinflussen.
James Baldwin „The Negro in American Culture“ (1961):
„To be a Negro in this country and to be relatively conscious, is to be at rage almost all the time. So that first problem is how to control that rage, so that it will not destroy you.“
Audre Lorde „Sister Outsider“ (1984):
„Ich kann meine Wut nicht verstecken, bloß um euch Schuldgefühle, Verletzungen oder eure eigenen, wütenden Gegenreaktionen zu ersparen.“
Aminata Toure im Interview mit jetzt.de (2021):
„Die Leute denken, nur, wenn ich ein Thema möglichst unemotional und sachlich rüberbringe, ist es Politik. Klar müssen wir uns nicht den ganzen Tag die Köpfe einschlagen. Aber die Frage ist auch: Wessen Emotionen sind legitim, wessen nicht? Wenn ein Typ nach vorne geht und eine krasse Rede hält, wird ihm seltener Emotionalität oder Wut vorgeworfen als einer Frau oder einer BIPOC. Das soll nicht emotional sein, nur, weil der einen Anzug trägt? Das ist doch lächerlich. Ich habe mich allerdings auch immer gefragt: Was mache ich mit meiner Wut? […]Ich versuche, sie in etwas Produktives zu verwandeln. Die Probleme in unserer Gesellschaft zu lösen, anstatt mit geballten Fäusten in der Ecke zu sitzen.“
Auszug aus dem Aktionsbericht von 2021
“This year the justifications for our rage felt more acute, particularly in the so-called US with the colonial authority proclaiming “Indigenous Peoples’ Day.” We’ve seen the farce of this politics of recognition for what it is and this is why we rage; to undermine their co-optation and white/redwashing. We emphasized that arrests weren’t the point this year especially considering how performative Non-Violent Direct Actions have fed so many of our people into the hands of the police state. We don’t want our people and accomplices locked up ever, especially during a pandemic. We’re not out to beg politicians, negotiate treaties, and we will not make concessions – we fight for total liberation. To radicalize, inspire, empower and attack – this is what anti-colonial struggle looks like and we are everywhere.”
Ergebnisse der Forschung zum Thema: How environmental movement activists deal with emotions related to climate change as they mobilize – what is the role of fear, hope, anger and guilt?
Globale Süden
- Motivation zur Aktion entsteht aus einer akuten Angst und der erlebten Erfahrung der Klimakrise
- Die akute Angst führt nicht zur Ohnmacht, weil eine Schuldzuschreibung stattfindet
- Die Schuldzuschreibung der Klimakrise durch den Globalen Norden führt zu aktions-orientierter Wut
- Wut wiederum bewältigt und transformiert die akute Angst der Aktivisti
- Wut über die Verursacher*innen und Schuldigen schreibt diesen aber auch eine Handlungsmacht zu: „Sie haben die Macht, Ressourcen und Kapazitäten – sie können es ändern“
- Dabei entsteht Hoffnung, die jedoch nicht kreativ und vergnüglich ist, sondern als rastloser Kampf empfunden wird
- Das bedeutet: Akute Angst führt zu Wut über die Schuldigen trotz der Hoffnung, dass die Schuldigen etwas ändern, was wiederum zu Wut führt, die antreibend ist.
Globale Norden
- Angst ist nicht akut, aber ein Trigger aktiv zu werden auf einer individuellen Ebene, aber funktioniert nicht mehr als mobilisierende Strategie für Aktionen
- Hoffnung funktioniert jedoch als kreatives Moment zur Mobilisierung und erhöht auch die eigene Handlungsfähigkeit
- Dies führt zu Aktionen und generiert dann wieder Hoffnung obwohl dies auch von der kollektiven Hoffnung innerhalb der Aktion abhängt
- Wenn aus Angst Ohnmacht entsteht, greifen Aktivisti auf Hoffnung und Wut zurück, um sich zu ermächtigen
- So wird Wut zu einer starken Energie und Hoffnung färbt Wut als positive Eigenschaft.
- Die Kombination von Wut und Hoffnung kann die Zerstörungskraft der Wut entschärfen, aber dieses Bemühen, die Wut zu transformieren, zeigt auch die Unterdrückung dieser mächtigen Emotion in einem gewollt postpolitischen Kontext.
Quelle: Jochen Kleres & Åsa Wettergren (2017) Fear, hope, anger, and guilt in climateactivism, Social Movement Studies, 16:5, 507-519.